Ich befand mich in einem kleinen Boot auf dem Amazonas auf dem Weg zu einem Dorf der Mayoruna, einer indigenen Gemeinschaft, die am Rande des Amazonas-Regenwalds lebt. Das Boot war klein, lotterig und so voller Löcher, dass es konstant ausgeschöpft werden musste. In meinem Rucksack hatte ich eine Aufnahmeausrüstung im Wert von etwa zwanzigtausend Dollar – darunter ein binauraler Neumann KU 100 Kunstkopf.
Aber schauen wir erst vier Jahre zurück: 2010 begann ich, bei der Theatergruppe Complicite zusammen mit den Regisseuren Simon McBurney und Kirsty Housley an der Bühnenadaptation von „The Encounter: Amazon Beaming“ zu arbeiten. Das Buch beschreibt die wahre Geschichte eines Fotografen, der sich im Amazonas-Regenwald verirrt und dabei die indigene Gemeinschaft der Mayoruna kennenlernt. Wir merkten sehr schnell, dass wir diese Geschichte nicht mit den konventionellen Mitteln des Theaters erzählen konnten, und fingen an, neue Möglichkeiten zu erkunden. So kamen wir auf die Verwendung von binauralem Sound. Das Problem war nur, dass es nicht viele binaurale Klangaufnahmen aus dem Amazonas-Regenwald gab.
Ich fand mich deshalb auf einer Expedition wieder, auf der ich diesen Sound aufzunehmen suchte. Unserem winzigen Außenbordmotor ging irgendwann das Öl aus und wir mussten das Boot mit unseren Händen und einem Stück Holz selbst rudern. Solche unerwarteten Situationen sind bei der Aufnahme vor Ort an der Tagesordnung, deshalb ist man auch auf die verlässlichste, stabilste Ausrüstung angewiesen. Zum Glück war dieser Motorausfall das einzige Drama des Trips. Wir konnten auf mehreren Expeditionen in den Regenwald eine Vielfalt von Stimmungen an verschiedenen Orten aufnehmen – und die Resultate waren beeindruckend.
Wir nahmen außerdem viele Interviews mit Mitgliedern der Gemeinschaft auf und platzierten dabei den KU 100 in der Mitte des Raums, um das Gefühl für die Menschen darum herum zu vermitteln.
Ich mietete ein Cessna-Flugzeug, um Aufnahmen vom Landeanflug und von vorbeifliegenden Flugzeugen zu machen. Wenn man wenig Platz hat, wie im Cockpit eines Kleinflugzeugs, kann man einen regulären Handgriff am Gewinde unten am KU 100 befestigen, damit man ihn von Hand halten kann. Der KU 100 ist definitiv kein Leichtgewicht – ihn zu halten ist aber eine tolle Übung für die Arme und die akustischen Resultate sind nicht zu übertreffen.
Der KU 100 ist robust gebaut und verarbeitet und hält deshalb der Reise auf holprigen Straßen, in kleinen Flugzeuge und Booten ohne Probleme stand. Auch Schweiß, Mücken und Mückenspray gehen spurlos an ihm vorbei und als zusätzliches Plus zieht der KU 100 Mücken an – so fallen sie weniger über einen selbst her.
„Der KU 100 ist leicht zu handhaben, da er auf Sound genauso reagiert, wie es unsere Ohren tun. Wenn es also für uns gut klingt, wird es auch in der Aufnahme gut klingen.“
Ich schließe gerne die Augen, wenn ich die Aufnahme einrichte, damit ich mich auf den Klang konzentrieren kann und das ausblende, was mir meine Augen über den Klang sagen. Bei der Aufnahme von gesprochener Sprache kann es hilfreich sein, den Ständer des KU 100 tiefer zu stellen, sodass die Ohren auf Mundhöhe sind. Das kreiert einen dynamischen Effekt, vor allem, wenn jemand sehr nahe am Kunstkopf steht. Man muss sich auch bewusst sein, dass der Kunstkopf alle Geräusche um ihn herum aufnimmt. Wenn man also etwas Bestimmtes aufnehmen will, muss man auf Nebengeräusche und die Akustik des Raums achten, da der KU 100 auch diese aufnimmt. Diese Eigenschaft kann natürlich positiv sein, zum Beispiel, wenn der klangliche Charakter des Raums oder der Umgebung, in der man aufnimmt, eine Rolle spielt.
Die Aufnahmen müssen nicht nachbearbeitet werden und sind gleich für die Verwendung bereit. Bei vielen Arten der Nachbearbeitung geht ein Teil der Informationen, die der Aufnahme einen dreidimensionalen Charakter verleihen, verloren. Deshalb ist es wichtig, die Aufnahme so „roh“ wie möglich halten.
Der KU 100 vermittelt ein ausgesprochen immersives Gefühl – ein Gefühl, als wäre man mittendrin – viel mehr als andere Mikrofone. Für das Publikum erweckt es eine dynamische Umgebung zum Leben. Es ist großartig, Leute dabei zu beobachten, wenn sie sich eine binaurale Aufnahme anhören und sich im Sitz nach der Klangquelle hinter ihnen umdrehen. Binauraler Sound ist das perfekte Medium fürs Theater, da er ein tolles Gefühl für den Raum, das Soundpanorama und die Performer vermittelt.
Unsere rund 800 Zuhörerinnen und Zuhörer tragen alle HP 02-140 Kopfhörer von Sennheiser, die mit unserem Soundsystem verbunden sind. Die Wahl der richtigen Kopfhörer war sehr wichtig für uns. Offene Kopfhörer geben (im Gegensatz zu geschlossenen) einen natürlicheren Klang wieder, wovon binauraler Sound profitiert. Kabellose Kopfhörer – wie IEM oder Silent Disco Systeme – sind in gewisser Hinsicht zwar praktisch, bieten aber oft keine wirkliche Stereowiedergabe, was den Effekt von binauralem Klang beeinträchtigt.
Wir machen zudem gute Erfahrungen mit einem kleinen Soundcheck, bei dem wir prüfen, ob die Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Kopfhörer richtig aufgesetzt haben. Viele setzen ihre Kopfhörer nämlich erst falsch auf. Außerdem bieten wir einen Monomix sowie mehrere Schnittstellen für Hörgeräte an, damit die Vorführung für alle erlebbar ist.
Für unsere Bühnenproduktion verwenden wir sowohl die vor Ort gemachten binauralen Aufnahmen als auch die Liveübertragung eines KU 100 auf der Bühne. Der Kunstkopf auf der Bühne ermöglicht es dem Regisseur und Darsteller Simon McBurney, mit binauralem Klang direkt zum Publikum zu sprechen: Er flüstert scheinbar in das Ohr jedes einzelnen und erreicht jeden persönlich. Der KU 100 schafft eine unglaubliche Intimität zwischen dem Darsteller und den einzelnen Zuhörerinnen und Zuhörern. Sie fühlen sich so, als sitze Simon direkt neben ihnen und erzähle ihnen eine Geschichte, und gleichzeitig, als befänden sie sich mitten im Amazonas-Regenwald.
Binauraler Sound ist ein fantastisches Werkzeug für Geschichtenerzähler – nicht perfekt für alles, aber unübertroffen bei bestimmten Anwendungen. Für The Encounter ist es das perfekte Medium, um die Geschichte zu erzählen: Es schafft ein Erlebnis, das Zuhörerinnen und Zuhörer auf der ganzen Welt inspiriert. The Encounter war in Großbritannien, den USA, Australien und Europa auf Tournee und lief kürzlich 16 Wochen in Folge auf dem Broadway. Das Sounddesign erhielt in Großbritannien den Evening Standard Award für das beste Design.
Über Gareth Fry
Gareth Fry ist ein preisgekrönter Sounddesigner, der schon für Harry Potter und das verwunschene Kind, The Encounter und die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele von 2012 gearbeitet hat. Er gestaltete Ausstellungen mit binauralen Aufnahmen und Ambisonics sowie Virtual-Reality-Erlebnisse für verschiedene Ausstellungen und Kampagnen und ist Gründer und Vorsitzender der Association of Sound Designers. Er gewann 2007 den Olivier Award für seine Arbeit für Waves am National Theatre (Regie: Katie Mitchell), für die er von der Zeitung The Guardian als "Visionär" bezeichnet wurde. 2009 erhielt er den Olivier Award für seine Arbeit für Scotland’s Black Watch am National Theatre (Regie: John Tiffany). http://www.garethfry.co.uk
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